Schnell haste ich durch die Tür, bevor sie sich schließt. Ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass viele es mir gleichtun. Ich schaue auf mein Handy: Es ist 7:30 Uhr. Puh, das ist ja noch einmal gut gegangen. Eigentlich hätte die Bahn schon vor einer Minute die S-Bahnhaltestelle verlassen sollen. Tja, heute hatte ich einmal Glück! Wird das ein guter Tag?
Über mein Glück grübelnd, setze ich mich zu einer etwa 30-jährigen Frau, die gerade am Häkeln ist. Ich schaue mich um. In meiner Nähe ist sie die Einzige, die nicht auf ihr Handy starrt oder Musik hört. Sogar der alte Mann, der in der Nähe von uns steht, spielt Candy Crush. Wer hätte das gedacht? Ich dachte, die Jugend von heute wäre nur am Handy. Ich lache und plötzlich sind alle Augen auf mich gerichtet. Ups, das habe ich wohl laut gemacht! Wie peinlich!
„Brr!“ höre ich es aus meiner Jackentasche kommen. Schnell hole ich mein Handy raus, um den Blicken zu entweichen. Eine Nachricht von Unbekannt! Ich entsperre mein Handy und lese, was mir geschrieben wurde. „2“ steht da nur. Was soll das bedeuten? Und wer ist Unbekannt? Ich kontrolliere, wann diese SMS verschickt wurde. 7:34 Uhr, also vor einer Minute. Wahrscheinlich hat sich jemand nur vertippt. Ich schaue wieder auf. Die Häkel-Frau ist inzwischen ausgestiegen. Stattdessen sitzt der Grund für mein Lachen vor mir. Ich lächle ihn unschuldig an, doch er scheint nichts bemerkt zu haben. Pah, wie unhöflich! Das war sogar eins meiner hübschen… Habe ich vielleicht Reste von meinem Marmeladenbrot zwischen den Zähnen? Ich schaue rasch auf das Fenster, das in diesem Tunnel den Zweck eines Spiegels erfüllt. Nein, wieso hat er mich sonst nicht bemerkt? Ich senke meinen Blick auf meine Schuhe und erschrecke. Ich schwebe ungefähr 10 cm über dem Boden! Und der Mann vor mir auch! Alle um mich herum schweben und scheinen nichts zu bemerken. Die Dame im gelben Kleid, der Mann mit dem Hut, das Kind mit dem Fahrradhelm… ALLE!
Ich werde panisch und stehe auf. Habe ich mir alles nur eingebildet? Nein, ich schwebe wirklich. Ich versuche mein Handy zu heben, um ein Bild zu machen, doch etwas hält mich auf. Eine unsichtbare Kraft verhindert, dass mein Arm das Ding heben kann. Ich schaue mich um und bemerke, dass kein einziger Fahrgast ein Smartphone hält. Stattdessen sitzt auf dem Schoß des Candy-Crush-Herren ein Chihuahua, und das Kind hat statt der Apple-Watch ein Buch in der Hand. Ihre Augen starren in die Luft, scheinbar ohne etwas zu bemerken. Was geschieht hier? Ist das ein schlechter Scherz? Mein Blick wandert auf das Display, auf dem die nächsten Haltestellen und die voraussichtliche Ankunft stehen. Rechts in der Ecke erkenne ich die Uhrzeit: 7:36 Uhr. Vor zwei Minuten habe ich mir noch über eine Nachricht Gedanken gemacht und jetzt…
Eine Durchsage ertönt durch die Lautsprecher in diesem Wagen: „Nächster Halt: Südbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung links.“ Plötzlich wird alles hell: Wir haben den Bahnhof erreicht. Mit einem Piepen öffnen sich die Türen, und eine Horde Menschen betritt den Raum. Schnell stehe ich auf und laufe zu den Türen, bevor sie sich schließen und die S-Bahn weiterfährt. Ich spüre, wie Wassertropfen auf meine Haare fallen. Ich hätte fast vergessen, wie furchtbar das Wetter heute ist.
„Was denkst du? Für was steht das S von S-Bahn?“, fragt mich meine Freundin, als wir nach Schulende zum Südbahnhof zurücklaufen. Ich denke an die heutige Fahrt, an die Angst, die ich hatte, an die Ereignisse…
„Schweben“, antworte ich.
Marta